Das Fediverse ist keine linke Blase

Angesichts der tatsächlichen und angekündigten Flucht zahlreicher Protagonisten, die man grob als linke woke Globalisten bezeichnen kann, von der Plattform Twitter, ist der Netzwerkdienst Mastodon, ein Microbloggingdienst, vergleichbar mit Twitter, wieder einmal in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.

Und hier offenbaren sich zahlreiche Missverständnisse und Fehlinformationen, die ich mit diesem Betrag ins rechte Licht rücken möchte. So war kürzlich zu lesen, dass man mit anderen nur interagieren kann, wenn man einen Zugang auf dem selben Server hat. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Und es scheint die Vorstellung um sich zu greifen, Mastodon sei eine neue Sammelstelle besagter Twitter-Flüchtlinge aus dem linken Spektrum, die nun dort, anstatt bei Twitter, das Ruder fest in der Hand hätten. Auch dies ist ein Trugschluss.

Wer bei Twitter, Facebook oder einem der anderen großen kommerziellen Sozialen Netzwerken angemeldet ist, der hat sich in die Hand eines Konzerns begeben und ist mit seiner Nutzung dort gefangen. Für die Inanspruchnahme dieser Dienste, so meint man, muss man aber auch nichts bezahlen. Das ist allerdings ein Irrtum. Tatsächlich muss man für die Nutzung grundsätzlich kein Geld locker machen, man bezahlt aber trotzdem, nämlich mit seinen Daten. Das sind nicht nur die persönlichen Daten, sondern auch Informationen über Kontakte, Interessen, darüber wo und wie man sich auch außerhalb des Netzwerkes bewegt, Kaufgewohnheiten, Lieblingsliteratur… die Liste ist schier endlos. Und all diese Daten werden von den Betreibern dieser Netzwerke dazu benutzt, Gewinne zu machen. Teilweise schlagen die Anbieter selbst Kapital z.B. durch gezielte Werbung daraus, vor allem aber werden die gesammelten Informationen an Kunden verkauft, die ihrerseits damit Gewinne generieren. Wer ein Konto bei einem dieser gewinnorientierten Netzwerke hat, der wird selbst zur Ware.

Außerdem ist man dem einzelnen Anbieter und seinen hausgemachten Regeln auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Wer sich nicht so verhält, wie es genehm ist, der wird in seiner Reichweite beschränkt, es werden Beiträge gelöscht und es kommt auch zu Zugangssperren bis hin zum kompletten Rauswurf.

Stellen Sie sich einmal vor, sie könnten mit Ihrem Twitter-Konto einem Bekannten folgen, der selbst nicht bei Twitter registriert ist, sondern nur ein Facebookprofil hat. Sie könnten sehen, was er bei Facebook postet und er könnte sehen, was sie bei Twitter „zwitschern“. Sie könnten gegenseitig ihre Beträge „liken“, kommentieren oder „weitersagen“. Und das nicht nur mit Twitter und Facebook, sondern ebenso mit YouTube, Instagram und weiteren Sozialen Medien. Das wäre fantastisch, ist aber undenkbar. Und dass dies nicht möglich ist, liegt auch im Interesse der jeweiligen Betreiber, denn diese wollen SIE ja bei SICH behalten und ihr Kapital, das Sie für diese sind, nicht mit anderen teilen.

Aber die hier skizzierten Möglichkeiten sind kein Traum, keine Utopie, es gibt sie tatsächlich. Und das auch schon seit relativ langer Zeit. Nur sind sie leider in der breiten Öffentlichkeit nicht so bekannt. Die Lösung ist das Fediverse.

Was ist das Fediverse?

Fediverse ist ein Kunstwort, um eine Vielzahl unabhängiger, freier Serversoftware zu bezeichnen, welche Dienste aus dem Bereich Social Media zur Verfügung stellt. Server auf der ganzen Welt, die einen dieser Dienste bereitstellen, nennt man das Fediverse, ein „Universum“ aus „föderierten“ Netzwerken. Föderiert bedeutet in diesem Fall, dass alle verschiedenen Netzwerke miteinander interagieren können. Informationen, also Text-, Bild- oder Videobeiträge können von jedem Dienst aus gesehen werden, Personen, egal bei welchem dieser Dienste sie aktiv sind, können sich mit beliebigen anderen Personen, selbst bei anderen Diensten, verbinden, sehen was sie veröffentlichen, Beiträge „liken“, „weitersagen/teilen“ oder kommentieren. Ursprünglich entstanden sind diese Netzwerke, weil Nutzer aus den goldenen Käfigen der großen, kommerziellen Netzwerke ausbrechen wollten.

Mastodon ist nun ein Teil des Fediverse und entspricht in seiner Ausrichtung am ehesten Twitter. Daneben gibt es noch zahlreiche andere Dienste, wie z.B. Friendica oder Hubzilla, die Funktionen bieten, die am ehesten mit Facebook vergleichbar sind. Oder PeerTube, eine föderierte Videosharing-Plattform wie YouTube, Pixelfed zum Teilen von Bildern wie auf Instagram oder Lemmy, das dem hierzulande eher unbekannten Reddit entspricht, einem Linksammeldienst mit Bewertungsfunktion.

Egal, welchen dieser Dienste man nutzt, man kann mit allen Nutzern auch anderer Dienste, im Rahmen der Fähigkeit der jeweiligen Serversoftware, interagieren.

Daneben gibt es noch einen weiteren enormen Vorteil im Fediverse: Man ist nicht in auf einen einzigen Anbieter eines speziellen Dienstes angewiesen. Die Netzwerk-Dienste im Fediverse sind so ausgelegt, dass jeder einen Server anbieten kann, auf welchem sich Nutzer ein Benutzerkonto erstellen können. Es ist dabei völlig egal, auf welchem Server man seinen Account hat, es fühlt sich so an, als wäre man mit jedem einzelnen, der auf anderen Servern beheimatet ist, in einem einzigen großen Netzwerk. Die meisten Anbieter von solchen Diensten tun dies aus Enthusiasmus und wirklich kostenlos. Es sind Privatmenschen, Vereine, Interessengemeinschaften, teilweise Firmen, aber auch Privatpersonen. Man kann sogar selbst auf gemieteten Serverspace oder einem Rechner in den eigenen vier Wänden die entsprechende Software installieren und damit Teil des Fediverse werden, also jeden anderen Nutzer des Fediverse auf der ganzen Welt erreichen. Mehr Hoheit über die eigenen Daten geht nicht.

Vergleichbar ist der dezentrale Ansatz z.B. mit E-Mail. Völlig egal, wo sie ein E-Mail-Konto haben, sie können jeden anderen, der irgendwo ebenfalls eine E-Mail-Konto hat, erreichen. Und wenn sie mögen, können sie einen eigenen Mailserver installieren und auch damit jeden anderen E-Mail-Nutzer erreichen.

Fällt im Fediverse mal ein einzelner Server aus, so bleibt das Netzwerk trotzdem bestehen und nutzbar. Außer für diejenigen, die auf dem verunglückten Server registriert sind. Hubzilla zum Beispiel bietet eine Funktion, welche die Ausfallsicherheit nahezu perfektioniert. Man kann sein Profil, das man auf einem Server (bei Hubzilla werden diese Hub genannt) A hat, auch auf beliebig viele andere Hubs „klonen“. Fällt nun Server A aus, z.B. wegen technischer Probleme, weil der Serverbetreiber den Dienst einfach einstellt, oder weshalb auch immer, nutzt man einfach sein geklontes Profil auf einem der anderen Server. Die Inhalte werden ständig synchronisiert, so dass man keinen Unterschied bemerkt.

Weshalb das Fediverse keine linke Blase ist und auch keine werden kann

Wenn nun jemand wie der allseits beliebte Jan Böhmermann einen Mastodon-Server installiert (vermutlich eher installieren lässt, von jemanden, der Ahnung davon hat), dann wird auch dieser Server Teil des Fediverse. Und er kann dort selbst moderieren und reglementieren, wie es ihm gefällt. Er kann sich auch Helfer oder „Aufpasser“ organisieren, welche die Inhalte nach seiner Facon und nach der seines Arbeitgebers zurechtstutzen. Aber das gilt nur für seinen Server. Alle anderen, die auf einem anderen Konto einen Account haben, sind davon nicht betroffen. Er kann für die Nutzer seiner Instanz auch bestimmte Nutzer anderer Instanzen faktisch sperren oder ausfiltern. Das einzige, was er damit erreicht ist aber, dass er sich eine eigene Blase schafft und mit seinen Gesinnungsgenossen nur noch im eigenen Saft schmort. Dem Rest des Fediverse kann das gleichgültig sein, denn durch den dezentralen Ansatz wird es dadurch nicht berührt. Falls sich jemand nun versehentlich zum Server des Herrn Böhmermann verirrt und irgendwann bemerkt, dass er von Inhalten und Personen, an denen er Interesse hat, abgeschnitten wird, kann er sein Profil ganz einfach herunterladen und zu einem anderen Mastodon-Anbieter umziehen, der keine solche Einschränkungen vorsieht. Er behält seine Kontakte und hat keine wirklichen Nachteile.

Das Fediverse ist ein unglaublich freies Universum, weil es nicht auf einige wenige oder einen einzelnen Anbieter angewiesen ist. Bis zu der jetzt aktuellen Fluchtwelle gab es Millionen Nutzer aus sämtlichen politischen Spektren, mit völlig unterschiedlichen Interessen und Ansichten. Mag sein, dass sich nun eine linke Blase innerhalb des Fediverse entwickelt, aber das ist unerheblich, weil sie nur einen kleinen Teil dieser Welt darstellt. Und je mehr sie sich abschotten, desto einsamer werden sie sein. Es wird zu einem virtuellen Stammtisch in einem Lokal ohne Gäste. Ich weiß nicht, ob sie auf Dauer dort „Spaß“ haben werden, wenn es niemanden gibt, den sie drangsalieren können. 😉

Ist es wirklich so kompliziert?

Ein weiteres Vorurteil gegenüber dem Fediverse und auch Mastodon ist, dass es so kompliziert sei und scheinbar nur für Freaks. Als erste Hürde empfinden viele, dass sie sich für das Registrieren einen Server aussuchen müssen. Das ist jedoch unvermeidbar. Um auf mein Beispiel mit der E-Mail zurückzukommen: Als wir seinerzeit irgendwann unsere ersten Schritte im Internet gemacht haben und eine E-Mail-Adresse haben wollten, mussten wir auch überlegen, bei welchem Anbieter wir das denn einrichten wollen. Bei Googlemail, bei GMX, bei Web.de oder wo auch immer. Geschafft hat das aber trotzdem jeder, obwohl es keine zentrale Seite gab, wo alle möglichen Anbieter schön aufbereitet aufgelistet waren. Das ging mehr über Hörensagen. Die wichtigsten Dienste im Fediverse haben hingegen eine Willkommensseite, eine „Join-Seite“, auf der der Dienst beschrieben wird und wo dann auch viele verschiedene Anbieter mit ihren Servern aufgelistet und verlinkt sind. Bei der Auswahl sollte man sich einige wenige, aber bitte nicht zu viele Gedanken machen. Im Endeffekt ist es ziemlich egal, welchen Server man letztlich auswählt. Empfehlenswert ist es lediglich, nicht unbedingt einen Server zu wählen, der schon Tausende Nutzer hat. Das Fediverse ist, wie gesagt, dezentral und es handelt sich meist um kleinere Server mit begrenzter Leistungsfähigkeit und Kapazität und nicht um Server-Farmen wie bei Twitter, die Millionen Accounts ganz locker bewältigen können.

DienstInfo-SeiteServerauswahl
Mastodonhttps://joinmastodon.org/dehttps://joinmastodon.org/de/servers
Friendicahttps://friendi.ca/https://dir.friendica.social/servers
Hubzillahttps://hubzilla.org//page/hubzilla/hubzilla-projecthttps://hubzilla.fediverse.observer/list
PeerTubehttps://joinpeertube.org/de/https://joinpeertube.org/instances#instances-list
Pixelfedhttps://pixelfed.org/https://fedidb.org/software/pixelfed
Lemmyhttps://join-lemmy.org/https://join-lemmy.org/instances

Hat man sich entschieden, dann läuft die Registrierung völlig einfach und verständlich ab. Wer es geschafft hat, sich bei Twitter, Instagram und co. anzumelden, der schafft auch die Registrierung z.B. bei Mastodon ohne Probleme.

Wichtig ist, die Dienste nicht als 1:1 Ersatz für die gewohnten Netzwerke zu betrachten. Sie sind vergleichbar, haben verwandte Konzepte, doch es empfiehlt sich, sie als etwas neues zu entdecken. Vieles ist ähnlich, etliches ist aber auch anders oder neu. Der Vorteil ist, dass niemand im Fediverse allein gelassen wird. Es ist fantastisch, wie hilfsbereit die Nutzer sind, wenn jemand neu dabei ist und Fragen stellt oder über Probleme berichtet. Das muss man wirklich erlebt haben. Gerade jetzt, wo viele im Fediverse neu aufschlagen, gibt es viele Postings von alten Hasen, die Tipps für den Einstieg geben.

Falls ich nun hier Interesse geweckt habe, möchte ich aber auch niemanden im Regen stehen lassen. Aus diesem Grund habe ich eine Informationsseite für „blutige Anfänger“ mit Hinweisen und Anregungen geschrieben, wie man sich im Fediverse sofort zurechtfindet und vor allem, wie man Kontakte knüpft: Neu hier – Und nun?

Teile im Fediverse
Teile im Fediverse

  • 13. November 2022