Bärendienst durch dumme Berichterstattung

Kaum wurde Twitter von Elon Musk übernommen, bekommen die linken woken Globalisten schnelle Beine. Also nicht alle, aber viele.

Man fürchtet halt, die Meinungs- und Deutungshoheit zu verlieren, die auf Twitter doch so viel Freude bereitet hat. Und der „böse“ Musk will diesen Tunnel jetzt wieder verbreitern und den Microblogging-Dienst für alle attraktiv machen. Der Spruch von der Befreiung der Vogels ist gar nicht so weit hergeholt.

Und zack, haben sie die freien Alternativen aus dem Fediverse für sich entdeckt. Als sie die echten oder auch nur als solche gelabelten Rechten aus den großen aSozialen Netzwerken gedrängt hatten und diese Zuflucht auch im Fediverse gesucht haben, da war das eine ganz böse Sache… viel zu unkontrolliert… aber unwichtig, weil Nische. Jetzt aber ist das plötzlich eine ganz tolle Sache.

Es bleibt abzuwarten, wie viele tatsächlich dauerhaft abwandern… und wie viele ganz böse aus ihrem Traum einer neuen „sauberen“ (also keine abweichenden Ansichten respektierenden) Umgebung erwachen werden. Denn… sie haben nicht die geringste Vorstellung davon, wie ein dezentrales System, wie das Fediverse, überhaupt funktioniert. Sie haben da weder die Macht, noch die Möglichkeit, andere auszusperren, mundtot zu machen. Genau das ist ja eines der Grundprinzipien der föderierten Netzwerke. Sicherlich können sie, wie gerade Böhmermann, eigene Server aufsetzen und dann mittels IP- oder Domainfiltern andere Server, auf denen nach ihrer Meinung zu frei kommuniziert wird, für sich sperren, also ausfiltern… nur… „kein Feind, keine Ehr“. Sie können sich eine Bubble aus Meinungsgenossen herstellen… aber über wen wollen sie denn dann herziehen, wen wollen sie künftig abstrafen, ächten oder gar versuchen, Existenzen zu vernichten?

Was mich aber betroffen macht, ist, dass genau diejenigen, die eigentlich froh über die Entwicklung der freien, föderiertenSozialen Netzwerke und Medien sein sollten, die Twitterflucht nun zum Anlass nehmen, dieses Netzwerkkonstrukt zu diskreditieren. Aus Unwissenheit? Aus Schadenfreude? Aus Berechnung? Ich hoffe, nur aus Unwissenheit!

Jedenfalls wird es so dargestellt, als wäre das Fediverse jetzt sowas wie eine „linke Entdeckung“. Vorher habe das ja keiner gekannt. Als würde es jetzt zu einem linken Sammelbecken.

Ganz vorne mit dabei ist ein Artikel von Mario Thurnes, der bei Tichys Einblick erschien:

„ZDF finanziert über Jan Böhmermann Twitter-Ersatz Mastodon mit“

archiv

Nach ein wenig Vorgeplänkel, an dem ich eigentlich nichts auszusetzen habe, wird aber gleich einmal die Grundidee des Fediverse ins Lächerliche gezogen. Achtung: Der gesamte Artikel bezieht sich auf Mastodon — nur einer von sehr vielen verschiedenen Diensten im Fediverse, der vom Grundprinzip die größte Ähnlichkeit zu Twitter aufweist.

Mastodon gäbe es nunmehr seit sechs Jahren, das habe bislang aber niemand mitbekommen. Niemand, das sind derzeit 4,7 Millionen Benutzer (das gesamte Fediverse hat über sechs Millionen Nutzer). Und Mastodon hat eine längere Vorgeschichte, als die sechs Jahre. Die Entwicklung dieses nun etablierten dezentralen Microblogging-Dienstes nahm bereits 2010 mit anderen Diensten ihren Anfang.

„Der Dienst gibt sich ganz im Sinne der Linken als „nicht kommerziell“ aus und bewirbt sich selbst als dezentral. Was bedeutet das?“

„Nicht kommerziell“ und „dezentral“ sind also linke Ideale? Nun, dann empfehle ich dem Autor, ganz schnell mal auf E-Mail zu verzichten. Denn E-Mail ist ebenfalls dezentral. Wer eine E-Mail-Postfach auf irgendeinem — womöglich noch völlig unkommerziellen — Server eingerichtet hat, der kann mit jedem anderen Inhaber eines E-Mail-Zugangs kommunizieren… egal, wo da der Server steht, egal, ob es sich um einen kommerziellen oder nicht kommerziellen Anbieter handelt. Wer „dezentral“ als negative linke Idee labelt, der hat das Prinzip des Internet nicht einmal im Ansatz verstanden. Vom Grundsatz her ist das Internet nämlich dezentral konzipiert. Das war Sinn und Zweck. Es ging darum, die Kommunikationskanäle aufrecht zu erhalten, selbst wenn Teile der Infrastruktur ausfallen… durch Dezentralität, durch Redundanz. Die Realität sieht heute leider anders aus, weil sich einige wenige Dienste beinahe unersetzbar gemacht haben und einen weiten Teil der Datenströme kontrollieren kann. Trotzdem bleib das Prinzip der Dezentralität vorhanden und eine der wichtigsten Grundsteine des Internet. Das Fediverse ist ein Weg, die Freiheit durch Dezentralität wiederherzustellen.

Ja… und der Autor sollte auch jegliche Dienste liegen lassen, bei denen auch nur ein einziger Ehrenamtlicher beteiligt ist. Denn das ist „nicht kommerziell“. Man mag es nicht glauben, aber es gibt Menschen, die etwas anbieten, ohne dafür entlohnt werden zu wollen und ohne daraus geschäftliche Vorteile zu ziehen. Und das Fediverse lebt genau von solchen Spinnern, zu denen auch ich gehöre. Ich selbst unterhalte drei Instanzen (Server) im Fediverse und bezahle das aus meiner eigenen Tasche. Nein, das sind auch keine großen Summen… ist halt mein Hobby und der Wunsch, jedem die Möglichkeit zu bieten, sich auszutauschen, ohne sich dabei in die Arme der großen kommerziellen Datenkraken zu werfen.

Der Hammer im Artikel folgt dann aber sofort.

Es wird erzählt, dass man, wenn man bei Twitter ist, Kontakt zu jedem anderen Twitternutzer auf der ganzen Welt haben könnte.

So weit, so gut… und korrekt.

Im Fediverse, also bei Mastodon sei das aber nicht so, da müsse man sich auf dem selben Server befinden, auf dem auch der Adressat angemeldet ist:

„Erste Selbsttests auf Mastodon zeigen: Die dezentrale Struktur ist gewöhnungsbedürftig. Ein Journalist aus Berlin und einer aus Wiesbaden wollen sich gegenseitig auf Mastodon folgen. Doch das geht nicht. Der Berliner muss von seinem Mastodon-Server auf den hessischen Mastodon-Server wechseln, um sich mit dem befreundeten Journalisten in Wiesbaden austauschen zu können. Wir schreiben das Jahr 2022: Die Welt rückt im Internet zusammen und Deutschland führt die Kleinstaaterei wieder ein. Digitales Surfen wie im Jahr 1822, mit Passkontrolle zwischen Mainz und Wiesbaden.“

Wie sagt man so schön? You are fake news!

Hier wird einfach einmal die Unwahrheit verbreitet. Der Autor stellt Mastodon (und damit das Fediverse) als eine Ansammlung abgeschlossener Server dar, auf denen lediglich die gleiche Software installiert ist. Er denkt womöglich, das wären Mini-Twitter, die nicht miteinander interagieren können. Und da sind sie wieder, meine drei Fragen: Aus Unwissenheit? Aus Schadenfreude? Aus Berechnung? Ich hoffe, nur aus Unwissenheit!

An dieser Behauptung ist nun aber wirklich nichts wahr.

Das Gegenteil ist der Fall. Es ist völlig egal, auf welchem Server ich meinen Mastodon-Account habe, ich kann zu jedem anderen Mastodon-Nutzer Kontakt aufnehmen, ihm „folgen“, mit ihm kommunizieren, ihn kommentieren… völlig unabhängig auf welchem Server er seinen Account hat. Nennt sich „föderiert“, woher auch die Bezeichnung „Fediverse“ rührt.

Der Journalist aus Berlin und der aus Wiesbaden müssen ihren Server nicht verlassen, um miteinander zu interagieren. Sie bemerken nicht einmal, dass sie nicht auf dem selben Server angemeldet sind. Tja… und der Journalist aus Buxtehude kann auch noch dazustoßen und mit beiden interagieren, obwohl er nicht einmal einen Mastodon-Account hat, sondern einen auf einem Friendica-Server, denn Friendica ist ebenfalls ein Teil des Fediverse. Friendica ähnelt dabei eher Facebook, ist also kein Microblogging-Dienst. Trotzdem kann er sich mit den beiden anderen Journalisten verbinden, austauschen, sie sehen was er postet, er sieht was sie posten, jeder kann die Posts des anderen kommentieren, weitersagen etc. Das wäre, als wollten die beiden ersten Journalisten auf Twitter eine Interaktion mit dem aus Buxtehude starten, obwohl der gar keinen Twitter-Account hat, sondern nur einen bei Facebook. Undenkbar! Geht nicht! Im Fediverse eine Selbstverständlichkeit… selbst wenn der Server des vierten Journalisten in Argentinien steht und der einen Peertube-Account hat. Wer bei Youtube ist, kann hingegen keinen unmittelbaren Kontakt zu den auf Twitter und Facebook beheimateten herstellen. Die großen kommerziellen Netzwerke sind walled garden, umzäunte Gebiete, bei denen eine Interaktion mit anderen Diensten nicht funktioniert. Wenn sich die inzwischen vier Journalisten austauschen möchten, müssen sie entweder alle gemeinsam auf eine Plattform wechseln, oder… E-Mail benutzen… wieder eine dezentrale Sache.

Eine Unverschämtheit, aus eigener Unwissenheit die Nutzung der föderierten Netzwerke (bei denen man nicht die Ware ist) als Surfen im Jahr 1822 zu bezeichnen und etwas von Passkontrolle zu fabulieren. Das Fediverse ist die Vernetzung auf dem aktuellen, modernen Stand. Die Nutzung der alten, isolierten Netzwerke ist von Gestern… so wird ein Schuh draus!

Über den gerade zitierten und besprochenen Passus habe ich mich sehr geärgert. Nun, dann halt einen Kommentar schreiben. Nur… ich schaffe es ums Verrecken nicht, mich bei TW anzumelden. Es ist dies schon der zweite Versuch, es kommt aber keine Bestätigungs-Mail. Und nein, ich bin nicht zu blöd, mal im Spamordner nachzuschauen oder meine Mailadresse richtig zu schreiben. Ich habe es mit zwei unterschiedlichen Mailadressen versucht, um sicherzustellen, dass ggf. mein Mailserver nicht auf irgendeiner Blacklist gelandet ist. Aber es kommt nichts.

Gut, dann habe ich über das Kontaktformular geschrieben. Keine Reaktion und auch keine Richtigstellung der tatsächlich falschen Aussage. Nun, vielleicht wird ja die Redaktion auf den Fehler aufmerksam, wenn ich den Artikel hier auch auf Twitter teile und TE tagge.

Der Bärendienst ist, dass über dieses Gezeter und Verächtlichmachen die Leserschaft gegen das Fediverse aufgebracht wird. Die meinen nun, es sei eine rein linke Blase. Was ein Blödsinn. Das Fediverse ist der Inbegriff der Freiheit. Wenn sich da jetzt eine „linke Blase“ entwickelt, die sich vielleicht noch von allen anderen Bereichen abschottet, dann ist das deren Freiheit… das Juckt keinen… und es ist dann ein winziges Fleckchen unter all den anderen großen Gebieten und weiteren Interessenblasen. Über vier Millionen Benutzer, bevor jetzt die große Twitterflucht eingesetzt hat… es will mir doch keiner erzählen, dass sich da nur Linke herumgetrieben haben.

An den Kommentaren zu dem Artikel kann man schön sehen, dass die Propaganda des Autors auf fruchtbaren Boden fällt. Da wird hämisch getextet und wiedergegeben, das Fediverse sei nur was für Freaks und Linke.

In eine ähnliche Kerbe haut der Artikel von Theo-Paul Löwengrub auf ANSAGE!:

„Musk und der Twitter-Schock: Deutschlands totalitäre Linksblase erzittert“

archiv

Ohne hier nochmals auf Details einzugehen zitiere ich einfach mal die übelste Passage:

„Man möchte ihnen nachrufen: Verschwindet dorthin und kommt nie wieder – ihr, die ihr keinen Diskurs mehr führen könnt und keine Gegenmeinungen mehr duldet, die ihr Andersdenkende nicht mit Argumenten stellt, sondern zu kriminalisieren versucht! Schmort gerne da, wo ihr endlich wieder unter euch sein könnt, weiterin eurem eigenen Saft! Faschistoide Denkverbote und Scherbengerichte gegen Dissidenten braucht kein Mensch.“

Auch hier wird wieder deutlich, dass komplette Ahnungslosigkeit über das Fediverse vorherrscht. Wenn sich eine linke Blase dort entwickeln sollte, dann ist das die selbst verschuldete Sache der neuen Protagonisten, stört das Fediverse aber nicht im geringsten. Ob sie selbst damit dann glücklich werden, wage ich zu bezweifeln, denn sie brauchen ja ihre „Gegner“, die sie „beobachten“ und verächtlich machen können. Sperren sie diese aus, dann können sie höchstens noch über andere Lästern an ihrem virtuellen Stammtisch… das macht auf Dauer sicher keinen Spaß.

Schade, dass ausgerechnet diejenigen, denen auch bei Besitzerwechseln der großen kommerziellen Netzwerke immer wieder Unfreiheiten drohen, die wirklich freie Netzwerk-Welt im Fediverse diffamieren. Wahrlich ein Bärendienst, der hier erwiesen wird.

Allen anderen würde ich empfehlen, einfach einmal einen Blick ins Fediverse zu werfen. Das kostet nix, man bezahlt auch nicht mit seinen persönlichen Daten und hält nicht als Reklameopfer die Kehle hin. Und wenn man da seinen Account loswerden möchte, ist das sehr einfach und es bleiben keine persönlichen Daten irgendwo hängen. Tut nicht weh und kann interessant sein… vielleicht eine neue Heimat werden.

Für das Verständnis des Fediverse und die vielfältigen Vernetzungsmöglichkeiten und unterschiedlichen Dienste empfehle ich ausdrücklich den Beitrag von Mike Kuketz: Das Fediverse : Unendliche Weiten als Schaubild/Diagramm

Oder hier mal reinschauen: Das Fediverse – dezentrale, verbundene Soziale Netzwerke

Teile im Fediverse
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  • 30. Oktober 2022